Heute hat das Europaparlament eine wirklich bemerkenswerte und wichtige Resolution zum nächsten mehrjährigen EU-Haushalt und zu einem Corona-Wiederaufbaufonds mit einer fraktionsübergreifenden Mehrheit der Pro-Europäer verabschiedet. Dies ist eine gute Nachricht für Europa. Angesichts der tiefgreifenden Krise, die einige Länder wie Italien und Spanien besonders hart trifft, braucht es jetzt ein gemeinsames Programm, das den europäischen Zusammenhalt stärkt. Wir Grünen haben in den Verhandlungen eine treibende Rolle gespielt und tragen das Kompromissergebnis zwischen den paneuropäischen Fraktionen vollständig mit. Die Resolution fordert einen Wiederaufbauplan, der Mitgliedstaaten hauptsächlich durch EU-Fördermittel unterstützt und finanziert wird durch Anleihen mit langer Laufzeit und neue EU-Eigenmittel. Zu solchen EU-Eigenmitteln zählen ausdrücklich europäische ökologische Steuern und Abgaben.
Das gemeinsame Aufbauprogramm soll zudem als Priorität den Green Deal und die Digitalisierung fördern und an ökologische, soziale und wirtschaftliche Bedingungen geknüpft sein. Zusammen mit grünen Abgeordneten aus dem Wirtschafts- und Haushaltsausschuss im Europaparlament hatte ich vorher einen eigenen Vorschlag für einen solidarischen und grünen Wiederaufbaufonds vorgelegt. Das Verhandlungsergebnis der Pro-Europäer im Europaparlament enthält viele Elemente unseres grünen Vorschlags. Das alles ist ein großer Erfolg!
Dieser starke Resolutionstext ist ein klares Signal für einen solidarischen und ökologischen Wiederaufbauplan, den Europa so dringend braucht. Die bisherigen nationalen Maßnahmen haben den Binnenmarkt in eine Schieflage gebracht, weil Deutschland seine Wirtschaft um ein Vielfaches mehr stützen kann als alle anderen Länder. Gleichzeitig hat die Coronakrise in den südlichen und finanziell schwächeren Mitgliedsländern viel mehr Opfer gefordert als in Nord- und Mitteleuropa. Doch nur gemeinsam können wir die Eurozone vor dem Auseinanderbrechen bewahren und der von Corona ausgelösten Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit etwas entgegensetzen. Europa funktioniert langfristig nur, wenn in dieser Krise alle wieder herauskommen und kein Land dauerhaft an Prosperität verliert und mit eskalierender Armut zu kämpfen hat. Ein Wiederaufbaufonds, der diese Ziele auch erreichen soll, muss nach dem Willen des Europaparlaments starke 2 Billionen Euro umfassen.
Das Europaparlament zeigt hier seine Stärke: Mutige Positionen im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Die Kommission wird in der Resolution ausdrücklich vor Finanzalchemie mit behaupteten großen Multiplikatoreffekten bei EU-Garantien für Investitionskredite gewarnt, wie sie beim Juncker-Fonds einen Scheinriesen erzeugten. Damit soll auch verhindert werden, dass sich die Verschuldung schwer betroffener Mitgliedstaaten in der Krise weiter erhöht.
Die Resolution wurde mit 505 Stimmen dafür angenommen, bei 119 Gegenstimmen und 69 Enthaltungen. Wir Grünen und die SPD haben geschlossen für die Resolution gestimmt. Auch in der CDU/CSU hat eine große Mehrheit für den Resolutionstext gestimmt. Die Unionsabgeordneten im Europaparlament beziehen damit eine deutlich progressivere und solidarischere Haltung als ihre Kollegen im Bundestag. Trotzdem bedauern wir, dass nicht alle Abgeordneten der Union für diesen guten Text gestimmt haben. Die FDP hat gemeinsam mit der AfD geschlossen gegen die Resolution gestimmt. Damit war sie in ihrer liberalen Fraktion im Europaparlament in der Minderheit. Die deutsche Linke hat sich enthalten, sie waren allerdings auch nicht in die Verhandlungen zum Text der Resolution einbezogen. Europaabgeordnete aus Schweden, den Niederlanden und Dänemark haben in den Fraktionen der Liberalen und den Christdemokraten gemeinsam mit den Europagegnern gegen die Resolution gestimmt. Im Europaparlament finden sie mit dieser Position aber keine Mehrheit.
Die proeuropäische Allianz hat zusammengehalten und den gemeinsam eingebrachten Resolutionstext unterstützt. Damit ist die Situation im Europaparlament ungleich erfreulicher als im Rat der Mitgliedsländer, wo einzelne Länder mit ihrer Position einen solidarischen und umfangreichen Wiederaufbaufonds bisher blockieren. Diese Diskrepanz zwischen europäischer Demokratie und dem zwischenstaatlichem Modus zeigt deutlich: Letztlich brauchen wir eine europäische Republik brauchen. Es ist nicht demokratisch, wenn kleine Minderheiten immer wieder blockieren können, was für die große Mehrheit in Europa notwendig ist. Doch solange der Rückenwind für eine verstärkte europäische Demokratie fehlt, brauchen wir zumindest eines: Eine deutsche Bundesregierung, die mit mutigen proeuropäischen Vorschlägen mit anderen Mitgliedsländern zu einem starken Europa beiträgt, statt immer wieder mit Blockaden und Bremsen unangenehm aufzufallen.
Gleichzeitig trifft sich die Eurogruppe heute ein weiteres Mal, um über das in den Grundzügen bereits beschlossene Kreditprogramm der Europäische Investitionsbank und die temporäre europäischen Arbeitslosenrückversicherung (SURE) zu diskutieren. Anstatt sich regelmäßig für bereits verabschiedete Maßnahmen zu feiern, sollten die Finanzminister endlich alle Anstrengungen dem europäischen Fonds für den Wiederaufbau widmen. Der steht zwar zur Diskussion auf der Tagesordnung, eine Entscheidung wird aber nicht erwartet. Denn die Finanzminister hatten diese Frage im April an die Staats- und Regierungschefs weitergegeben, welche wiederum die EU-Kommission um einen Vorschlag gebeten haben. Der Vorschlag der Kommission steht aber weiter aus.
Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten sich den heutigen Beschluss des Europaparlaments als Beispiel nehmen. Europa braucht jetzt einen ambitionierten und ökologisch nachhaltigen Weg aus der Krise. Eine europäische Reaktion nach dem Motto “zu spät und zu wenig” wie in der letzten Krise wäre eine ernste Bedrohung für die Zukunft Europas.
https://sven-giegold.de/europaparlament-starker-wiederaufbaufonds/
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