Dienstag, 1. Januar 2019

Sven Giegold - 20 Jahre Euro: Bittersüß

Vor 20 Jahren begann am 1.1.1999 die Währungsunion. Die meisten Bürgerinnen und Bürger merkten es erst als drei Jahre später, als tatsächlich Euro-Münzen und -Scheine ausgegeben wurden. Die Gründe für die Währungsunion sind heute so überzeugend wie damals. Kleine Währungen sind im globalen Finanzsystem nicht souverän und stabil. Die gemeinsame Währung stärkt den europäischen Binnenmarkt, indem sie Preise vergleichbar macht und Investitionen von innereuropäischen Wechselkursrisiken befreit. Und natürlich ist erfreulich, dass die kleinen Abzockereien und Lästigkeiten beim Umtausch von Währungen Geschichte sind. Deshalb ist und bleibt die Währungsunion ein richtiges Projekt. Genau deshalb braucht die Eurozone endlich gemeinsame Politik für mehr Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit.
Doch so richtig zum Feiern ist mir nicht zu Mute. Zu bitter waren die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der miserabel gemanagten Eurokrise. Zu offensichtlich unfertig ist die Reparatur der Währungsunion bisher geraten. Schönrednerei ist gerade beim Thema Euro ein schlechter Ratgeber für die Freunde der europäischen Einigung.  Daher befremdet mich die Jubel-Presseerklärung von EU-Kommission, Rat, EZB, Eurogruppen-Chef und dem christdemokratischen Präsidenten des Europaparlaments.
Ja, es gab wichtige Fortschritte in der Eurozone. Die gemeinsame Bankenaufsicht bei der EZB ist ein Riesenschritt hin zu einer einheitlichen und strengeren Regulierung der großen Kreditinstitute. Genauso sichert das gemeinsame Bankenabwicklungsrecht samt europäischer Behörde Steuerzahler besser vor teuren Bankenrettungen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus schafft einen institutionellen Rahmen im Falle einer erneuten schweren Finanzkrise oder Staatsschuldenkrisen in der Eurozone. Und was viele nicht wissen: Bei der Bekämpfung von Steuerflucht, Steuerdumping bei den Unternehmenssteuern und der Bekämpfung der Finanzkriminalität haben wir in den letzten fünf Jahren mehr erreicht als in den 30 Jahren zuvor. Es war in den letzten Jahren für mich die beste politische Erfahrung überhaupt, daran mit unserem grünen Team im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments immer antreibend mitzuwirken.
Doch der Euro ist damit noch lange nicht stabil. Wenn ein ökonomischer Schock die Länder und Regionen im Euro ungleich trifft, wird es wieder zu einem hohen Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit kommen. Und wieder wird der Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit viel stärker sein, als es mit einer besser gestalteten Währungsunion der Fall wäre. Weder die private Verteilung von Risiken über Kapitalmärkte, noch öffentliche Transfers oder die Mobilität der Arbeitnehmer*innen sind ausreichend ausgebaut, um tiefe und schädliche Wirtschaftskrisen abzumildern. In Krisensituation hängen Stabilisierungshilfen für Staaten nach wie vor am seidenen Faden des Fast-Konsenses im ESM und würden wohl wieder mit schädlichen und unsozialen Austeritätsmaßnahmen statt mit sinnvollen Reformen verknüpft. Nach wie vor fehlt der EU und besonders der Eurozone eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik mit einem starken Haushalt für Gemeinschaftsinvestitionen finanziert aus den Erträgen einer gemeinsamen Unternehmenssteuer und dem Schließen der skandalösen Steuerschlupflöcher und der europaweiten Bekämpfung  der Finanzkriminalität.
Wieder würden bei einer erneuten Zuspitzung der Finanzkrise die Entscheidungen in den Nationalstaaten getroffen und von Finanzministern hinter den verschlossenen Türen der Eurogruppe und des ESM. Eine europäische Debatte um den besten Umgang einer Krise gäbe es wieder nicht. Und wieder wäre die Versuchung nationaler Regierungen groß, die notwendige Schockabsorption auf europäischer Ebene alleine der Geldpolitik der EZB zu überlassen, um politisch keine demokratische Verantwortung übernehmen zu müssen. Wieder würden die europäischen Lasten einer Krise nicht gerecht verteilt, sondern politisch bequem der Mittelschicht in den Krisenländern und Sparern angelastet.
Dieser Mangel an demokratischer Legitimation und Handlungsfähigkeit der Europapolitik ist auch ökonomisch ineffizient: Denn immer wieder traut sich die Europäische Kommission nicht das Notwendige zu tun, um die Währung stabil zu halten. Die Regeln des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts werden immer wieder gebogen, bis es knirscht und sogar gebrochen. Das Europäische Semester zur Koordination wirtschaftspolitischer Reformen in den Mitgliedsländern führt zu wenig. Und vor allem das neue System gegen makroökonomische Ungleichgewichte wird nicht scharf gestellt. Bei all dem gilt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die Nationalstaaten lassen sich gegenseitig gewähren und lassen zu, dass die Kommission selbst eklatante Verletzungen der Regeln ungesühnt lässt. Zum Beispiel darf Frankreich jahrelang ungestraft übermäßig mehr Schulden aufnehmen als erlaubt und Deutschland riesige Leistungsbilanzüberschüsse machen, obwohl dies andernorts zur Verschuldung führt. Das aggressive Steuerdumping vieler Euroländer wird zwar bekämpft, aber ein hartes Stopp-Schild stellen die Mitgliedsstaaten nicht auf.
Die Vorschläge zu einer wirksamen Reform des Euro liegen auf dem Tisch. Es sprengt hier den Rahmen, sie zu wiederholen (Details s.u.). Die anspruchsvollen und umfassenden Vorschläge aus der Wirtschaftswissenschaft wurden allesamt nicht realisiert. Gerade die deutsche Bundesregierung hat schon die Vorschläge der europäischen Kommission und ihrer Partner im „5-Präsidenten-Bericht“ durch massiven politischen Druck verwässert, um dann auch die Umsetzung der abgeschwächten Vorschläge zur Unkenntlichkeit zu behindern. Ebenso wies die deutsche Bundesregierung dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron mit seinen mutigen Euroreformideen die Tür, statt überzeugende deutsche Vorschläge zu entwickeln. Aussitzen, Verzögern, Verwässern – waren die Haupttätigkeiten der Großen Koalition. Die späte deutsch-französische Einigung von „Meseberg“ war dann nur noch ein schwacher Abklatsch des französischen Vorschlags, dessen Umsetzung dann von der Bundesregierung weiter behindert wurde. Die Vereinbarungen des Eurogipfels von Dezember 2018 haben mit dem ökonomisch Notwendigen kaum noch etwas zu tun.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die große Koalition in Deutschland eine stabile Währung verhindert. Denn kein Land hat wirtschaftlich und politisch so stark vom Binnenmarkt und der Währungsunion profitiert wie Deutschland. Und kein anderes Land hat ein größeres Interesse am Fortbestand des Euros wie Deutschland.
Ich will nicht missverstanden werden: Auch mit diesem Mangel an einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik kann der Euro weiter bestehen. Ihn abzuwickeln, wie es etwa die AfD und ihre Partner in anderen Ländern fordern, wäre völlig weltfremd, europapolitisch kurzsichtig und unverantwortlich. Doch die Währungsunion funktioniert viel schlechter, als sie es könnte, wenn wir ihr Potential endlich voll nutzen. Deshalb streiten wir Grünen im Europaparlament mit vielen Partnern in Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für eine echte Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Wenn die Weltwirtschaft noch eine Weile stabil bleibt, wird der Euro und seine Reform wohl kaum ein bestimmendes Thema im Europawahlkampf werden. Das Thema steht leider nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Und es gibt wahrlich andere wichtige Fragen, wie z.B. den Klimaschutz und Verteidigung und Stärkung von offener Gesellschaft, Rechtsstaat und Demokratie. Doch mir ist wichtig zu betonen: Wir fordern nach wie vor eine echte gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Eurozone und ein Ende der Blockade von notwendigen Reformen durch die große Koalition. Es gehört zu den bittersten politischen Erfahrungen des vergangenen Jahres aus Brüssel zusehen zu müssen, wie die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eine neue Europapolitik verspricht und dann mit einem SPD-geführten Finanzministerium genau da weiter macht, wo Wolfgang Schäuble aufgehört hat.
Doch ich bin überzeugt: Die Vertiefung der europäischen Einigung wird weitergehen, weil sie richtig ist. Wer sich in der Welt mit offenen Augen umschaut, muss begreifen: Nur als Europäerinnen und Europäer gemeinsam können wir die Welt mitgestalten und einen echten Beitrag zu Demokratie, Frieden, Klimaschutz und sozialem Zusammenhalt leisten. Und die europäische Gemeinsamkeit hängt eben auch an einer starken gemeinsamen Währung. Deshalb werde ich nicht locker lassen, für eine handlungsfähige und solidarische Währungsunion zu streiten.
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